Vom Geben und Nehmen

Unter Menschen ist die gesunde Balance dessen, was wir von anderen einfordern und was wir im Gegenzug bereit sind zu geben, entscheidend für das Gelingen sozialer Beziehungen. Das gilt in Freundschaften ebenso wie für den Abschluss von Geschäften, im Klassenzimmer oder zwischen Eltern und Kindern. Schließlich kommt alles, was man in den sprichwörtlichen Wald hineinruft, postwendend wieder zurück. Wer genau hinsieht, wird feststellen, dass die deutsche Sprache wohl nicht zufällig das eine Wort vor das andere gesetzt hat: Zuerst kommt das Geben, dann das Nehmen. So funktioniert das Prinzip der Gegenseitigkeit.

In unserer Beziehung zur Umwelt haben wir es mit der Reziprozität lange Zeit nicht so genau genommen. Die Natur diente uns Menschen mit ihren scheinbar unbegrenzten Ressourcen als Selbstbedienungsladen für Wohlstand und Wohlbefinden: die erholsame Sonntagswanderung an der frischen Bergluft (aber bitte nur mit großem Parkplatz), die Flugreise ins tropische Paradies, im Kleiderschrank der gleiche billige Polyesterpulli in sechs verschiedenen Farben, Erdbeeren im November und All-you-can-eat-BBQ mit Schweinefleisch für fünf Euro das Kilo. Der Traum vom Einfamilienhaus versiegelt unwiederbringliche Grünflächen, fehlende Nahverkehrskonzepte zwingen die Landbevölkerung ins Zweitauto und bei unseren modernen, pflegeleichten Ziergärten mit Kiesbett und Ginkgobonsai nimmt auch noch die letzte Biene entnervt Reißaus. Das Miteinander gerät aus dem Gleichgewicht.

Schon in den 1990-ern war es schick, sich mit Anti-Atomkraft-Buttons, Rettet-den-Regenwald-Stickern und Save-the-Whales-T-Shirts von der Masse abzuheben – Umweltbewusstsein als Trend gibt es also nicht erst seit gestern –, doch erst die nächste Generation hat wirklich verstanden, dass „Bewusstsein“ alleine nicht mehr reicht, dass Umweltschutz kein Modeaccessoire ist, sondern eine Überlebensstrategie.

Es ist daher an der Zeit, einzugestehen, dass wir alle, aber vor allem die Älteren unter uns, in unserer Beziehung zur Natur das Prinzip der Gegenseitigkeit mit Füßen getreten haben. Wir haben viel mehr genommen als zurückgegeben. Wir können nur von Glück sprechen, dass die Natur nicht nachtragend ist, sondern großzügig wie eine gute Freundin, die immer noch zu uns hält, obwohl wir sie immer nur zu unserem Vorteil ausgenutzt haben. In Zeiten der Krise, mit stetig steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen, serviert sie uns sogar noch den Ausweg aus der menschengemachten Misere auf dem Silbertablett: Geothermie, Solarenergie, Wind- und Wasserkraft.

Wir sagen also demütig Danke! und folgen dem Beispiel unserer Kinder in eine Zukunft, in der Umweltschutz als Chance begriffen wird und es wieder als Selbstverständlichkeit gilt, dass Geben vor Nehmen kommt.

Claudia Amor
für den Elternbeirat